Impulstext im September 2023

Die Kirche.. das ewig pilgernde Volk Gottes.

Seit einigen Jahren trage ich eine kleine silberne Jakobsmuschel am Hals. Vor zehn Jahren hatte ich mir eine kurze Auszeit genommen und bin den spanischen Jakobsweg gelaufen. Seitdem laufe ich immer wieder einzelne Abschnitte und ich bin immer noch und immer mehr fasziniert davon zu pilgern und pilgernd unterwegs zu sein.

Einen Berg zu besteigen und die Herausforderung meistern, einen Gipfel zu erklimmen, sind etwas anderes als Pilgern. Ich laufe nicht, um etwas zu erreichen, sondern um dem Weg zu folgen und meinen Gedanken nachzugehen. Unweigerlich denkt man an Dinge, vor denen man davonläuft – wie die offene Rechnung vom Steueramt. Oder man schmiedet Pläne, die man irgendwann realisieren möchte – wie den Keller aufzuräumen. Und irgendwann verlässt man seine Alltagsgedanken und begegnet den grossen Fragen: Gott, wovor laufe ich davon? Gott, was hast Du mit vor? Beim Pilgern beginnt man unweigerlich irgendwann ein Gespräch mit Gott.

Pilgerwege führen meist durch normale Dörfer und vorbei an normalen Dorfkirchen. Und für einen kurzen Augenblick taucht man ein in die Lebenswelt der Menschen vor Ort, atmet ihre Luft, betritt ihren heiligen Raum, in dem ihre religiösen Bräuche und Rituale gefeiert werden. Und Gott geht mit. Ich blicke mich um und spüre erneut diese Spannung, die die Kirche seit einiger Zeit zu zerreissen droht: Bewahren, was sich bewährt – verändern, was den Menschen den Weg zu Gott versperrt. Ich komme nicht umhin und frage mich, was das alles noch soll . Und so setze ich mein Gespräch mit Gott fort: «Was genau soll ich unter diesem Kulturwandel verstehen, von dem gerade so oft zu hören ist?»

Ein Kulturwandel in unserer Kirche ist unausweichlich. Zuviel ist in der Zwischenzeit an Vertrauen zerstört. Zuviel Unrecht, Doppelmoral und Falschheit hat sich etabliert. Entweder wir schaffen den Kulturwandel möglichst bald – oder wir schaffen uns selber ab. Es braucht einen Kulturwandel, der die Kirche als Ganzes erfasst:

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Gottesdienste z.B. verstehe ich als Ort der Beheimatung, an dem Menschen zusammenkommen, um sich als Glaubensgemeinschaft mit Gott im Zentrum zu erleben. Ein blutleerer Gottesdienst, in dem keinerlei Geist zu spüren ist, ist nur noch ein sinnentleerter Ritenvollzug. Wir haben aber nicht den Auftrag, leere Riten zu vollziehen, sondern gottesdienstliche Gemeinschaften feiern, in der alle Getauften als Subjekt der Liturgie angesprochen und ernst genommen werden.

Ein weiterer Kulturwandel betrifft den Klerikalismus. Eine gesellschaftlich relevante Kirche, in der zwischen dem getauftem Volk und den geweihten Klerikern dem Wesen nach ein Unterschied besteht, verliert in der Bevölkerung mehr und mehr an Ansehen und Bedeutung. Man redet von Dialog auf Augenhöhe, aber dieser scheitert oft an der Weihe.

Wir müssen unsere Vorstellungen von Kirche neu denken, weit über Gewohntes hinaus - und die pastoralen Aufgaben nach Charismen - und nicht nach Weiheständen verteilen. Wir müssen über die Zulassungsbedingungen zur Weihe diskutieren – und gleichzeitig in den Blick nehmen, welche Aufgaben wirklich unbedingt an eine Weihe geknüpft sein müssen. Wir müssen umdenken und lösungsorientiert darüber reden, wer als Pfarreileiter oder Pfarreileiterin eingesetzt werden kann und mit welchen Vollmachten eine solche Beauftragung verbunden sein kann.

Wir brauchen einen Kulturwandel hin zu einer Kirche des Wohlwollens. Die Kirche hat sich lange genug durch nicht mehr nachvollziehbare Vorschriften ins Irrelevante manövriert. Es wird Zeit, sich wieder dem verantwortungsvollen Handeln zuzuwenden. Es wird Zeit, nicht nur Traditionen weiterzugeben, sondern die Menschen auf dem Weg zu einer persönlichen Gottesbeziehung zu begleiten. Es wird Zeit, die Sexualmoral zu entdämonisieren und den Fokus auf Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung zu lenken.

Wir brauchen einen Kulturwandel hin zu einem Bewusstsein, welches der Kirche erlaubt sich zu irren, zu ihren Fehlern zu stehen und aus ihren Fehlern lernt. Eine Kirche, die Umkehr predigt, muss Umkehr auch vollziehen.

Ich wünsche mir eine Kirche, die sich nicht in extremistische Nischengruppierungen zersplittert, sondern einen echten Sitz im Leben hat. Die Kirche hat so viel anzubieten und es wird Zeit, die Glut vom Staub der Vergangenheit zu befreien.

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Jesus sagt: «Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus! Und wenn dort ein Mensch des Friedens wohnt, wird der Friede, den ihr wünscht, auf ihm ruhen». Die Frage, wie der Kulturwandel zu vollziehen ist, wühlt mich auf. Aber im Gebet und in der Stille finde ich meinen Frieden wieder, was nicht heisst, dass sich die Notwendigkeit des Kulturwandels erledigt hat. Aber es hilft, die Gedanken und das eigene Ringen um Veränderung vor Gott zu legen und mit ihm zu betrachten. Sich in Gedankenspielen zu ereifern, birgt keinen Frieden. Sich in Gottes Gegenwart zu wissen schon.

Ich würde gerne mit den Leuten vor Ort sprechen, wie sie sich den Kulturwandel vorstellen, den Bischof Joseph Maria angekündigt hat. Aber der Weg des Pilgerns führt mich weiter. Und unweigerlich beginne ich von Neuem mein Gespräch mit Gott.

Der nächste Pilgertag findet übrigens am 07. Oktober 23 statt.
Treffpunkt um 09 Uhr in Sumvitg und wir laufen bis Disentis.
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Wenn Sie sich zum Kulturwandel austauschen möchten, melden Sie sich bei Eric Petrini: eric.petrini@gr.kath.ch oder 076 482 1911