Impulstext im Februar 2024

Seit einigen Jahren tragen ich neben einem hölzernen Tau eine kleine, silberne Jakobsmuschel um den Hals. Zwei Spuren des religiösen Lebens, die mich neben vielen anderen Zeichen und Symbolen beeindruckt und geprägt haben.

An vielen Kirchen und Kapellen in Graubünden findet sich das Zeichen der Muschel als Wegweiser für Pilgernde, die dem Jakobsweg folgen.

Für mich ist die Muschel aber mehr als nur ein Wegzeichen oder eine Erinnerung. Sie ist Symbol für eine Kirche, die immer unterwegs ist. Eine Kirche, die still steht, ist keine lebendige Kirche. Wenn aber Christus unter uns lebt, wie kann dann seine Kirche nicht lebendig sein?

Christus ist in dieser Welt gegenwärtig. Aber, was wir als Gegenwart bezeichnen, ist etwas, was nicht festzumachen ist. Denn sobald ich mir der Gegenwart bewusstwerde, ist sie bereits Vergangenheit. Und das, was erst in der Zukunft kommen mag, muss erst Gegenwart werden, um im nächsten Augenblick Vergangenheit zu sein.

Die Gegenwart Christi in dieser Welt ist immer aktuell, also für die Gegenwart bedeutsam. Und was für mich bedeutsam ist, erschliesst sich für mich aufgrund der Erfahrungen, die ich in der Vergangenheit gemacht habe. Mit dem Schatz meiner Glaubenserfahrungen, mit all den Momenten, in denen Christus gegenwärtig war, im Rücken, im Herzen und unter den Füssen kann ich überhaupt erst die Hoffnung entwickeln, dass auch Zukünftiges von diesem für mich Bedeutsamen geprägt sein wird. Und die Hoffnung lautet, dass in allem, was kommen mag, Christus sich als gegenwärtig erfahren lässt - ich mit den Sorgen der Welt nicht alleine gelassen werden, sondern dass ich in Christus einen wohlwollenden und liebevollen Wegbegleiter habe. Jemand, der meine Sorgen anhört und mit mir teilt und mir auch hilft, die Sorgen zu verkleinern und besten Falls sogar Mut schenkt, die Dingen zu ändern, die mir Sorgen machen...

Ein Glaube, der mit dem Blick in die Vergangenheit rückwärtsgewandt in die Zukunft geht, entledigt sich all dieser Hoffnung.

Das Symbol der Muschel erinnert mich immer wieder an die Frage, in welche Richtung in blicke. Und warum ich eigentlich auf dem Weg bin. Wieviel von dem, was in der Vergangenheit einmal wahr war, lasse ich in der Gegenwart für mich noch bedeutsam sein? Kann es wirklich, wie man so oft hört, eine unveränderliche Wahrheit geben? Ist Wahrheit nicht immer das, was den Bogen zwischen Vergangenheit und Zukunft schlägt und somit in der Gegenwart aktuell ist? Muss die Wahrheit (also das, was sich in der Vergangenheit als bedeutsam erwiesen hat) nicht auch bedeutsam für die Hoffnung sein und für die Liebe sein? Wenn die Wahrheit nicht meine Hoffnung und meine Liebe und meinen Glauben lenkt, wie kann sie dann wahr sein? Und war es nicht Christus, der sich selbst als die Wahrheit bezeichnet hat – mit dem klaren Ziel, uns einen Weg zum Leben zu eröffnen? Und wenn Christus die einzig wahre Wahrheit ist und Christus immer Gegenwärtig ist – wie kann man dann festlegen, was wahr ist?

Einmal mehr betrachte ich die Muschel an der Wand dieser kleinen Kapelle, die abseits des Weges am Rande eines Feldes steht und wie ein Mahnmal sagt: «Los! Blick nach vorne und geh deinen Weg. Und geh ihn mit Gott.»

Lasst uns als Christinnen und Christen, als Kirche vereint und als geliebtes Kind individuell, den Weg vorwärtsgewandt gehen. Mit dem Schatz der Tradition im Rücken den Blick in die Zukunft gerichtet und das Herz weit geöffnet, um die Gegenwart Christi wahrzunehmen und bedeutsam werden zu lassen. Nur so können wir auch weiterhin für uns bedeutsame Schätze sammeln, die im Augenblick der Betrachtung schon vergangen sind, die aber unseren Glauben nähren, dass auch im nächsten Moment Christus wieder für uns gegenwärtig sein wird.

Herzliche Einladung zum Gottesdienst der Schweizerischen Jakobspilger
Sonntag, 17. März 2024 | 10.00 Uhr | Martinskirche Chur